14
Mai
2010

Gevatter Tod

Als der Junge am Meer einmal in seine Hosentasche griff, fand er eine alte, goldene Taschenuhr. Man konnte sie aufdrehen und dann lief sie für einige Zeit. Es war ein Andenken....eine Erinnerungsstütze.
Und immer wenn der Junge am Meer die Uhr nahm und sich erinnerte, gab es einen Menschen der immer wieder in diesen Erinnerungen auftauche. Es waren unterschiedliche Bilder die dann in den Erinnerungen des Jungen auftauchten.
Mal saß er zu Weihnachten auf seinem Schoß. Der Junge am Meer hatte ein kariertes Hemd an, war herausgeputzt und hielt eine kleine Glocke aus Porzelan in der Hand. Der alte Mann hielt schützend die Hand um die Glocke, achtete darauf dass der Junge am Meer nicht vom Schoß fiel oder die Glocke zerbrach. Ein anderes Mal sah er Bilder eines Garten hinter einem großen, ländlich wirkenden Haus. Im Garten gab es eine kleine Scheune in der Kaninchen waren und ab und zu kam der alte Mann und nahm eines der Kaninchen mit. Und am Abend saß der Junge am Meer am Tisch mit dem alten Mann und aß Kaninchen. Dann gab es das Bild des alten Mannes hinter der Glasscheibe in der Firma in der er Metallteile geschliffen hat. Er saß da am Schleifstein und war konzentriert, dann musste der Junge laut an die Scheibe klopfen. Zum Glück konnte man die Scheibe gut erreichen, war das Fenster doch direkt neben dem Garten des Hauses. Wenn der alte Mann das Klopfen gehört hatte, schaltete er die Maschine aus und kam zum Fenster. Er begrüßte den Jungen und gab ihm den Schlüssel ins Haus. Dann wartete der Junge auf die alte Frau die gerade zum Einkaufen war oder er blieb noch etwas im Garten und beobachtete wie der alte Mann seine Arbeit tat.

Es gab noch ein anderes, dunkleres Bild....dunkler weil es trauriger war. Es war ein Bild von dem alten Mann, aber er wirkte noch älter und sehr krank. Er lag in einem Bett in einem großen Haus voller Ärzte, Frauen in weißen Kitteln und Medikamenten. Der Junge am Meer mochte diese Krankenhäuser nicht und er würde sie auch nie mögen. Der alte Mann lag im Bett und der Fernseher lief....irgendein Autorennen. Der alte Mann sah schwach aus, irgendwie müde...es war das letzte Bild das der Junge am Meer von dem alten Mann hatte.

Die Menschen in der kleinen Kapelle weinten. Sie zogen Tücher aus ihren Taschen, verbargen ihre Augen hinter Brillen oder Schleiern. Sie waren angezogen wie auf einer Hochzeit...nur in schwarz und anderen traurigen Farben. Sie schluchzten und schnieften und der Mann der hinter der Holzkiste stand sprach über das Ende und Gott und den Himmel und warum Menschen gehen müssen. Er war auch sehr alt...wie der alte Mann der in dem geschlossenen Sarg lag.
Nur zwei Menschen weinten nicht. Ein Junge der eine fremde Sprache sprach und noch ein wenig jünger als der Junge am Meer war und eben der Junge am Meer, der keine Träne vergoß. Der Junge am Meer dachte an den alten Mann und dass er ihn nie wieder sehen würde, aber er dachte auch an die schöne Zeit die er hatte und an die Schmerzen die jetzt weg waren. Er dachte daran dass der alte Mann jetzt glücklicher ist, dass die Schmerzen vorbei sind, dass er es überstand hat. Er dachte dass er jetzt an einem anderen, womöglich einem besseren Ort ist.

Das war der Tag an dem der Junge am Meer ihn kennenlernte. Und der Tag an dem der Junge am Meer keine Angst mehr vor ihm hatte: Dem Gevatter Tod.









P.S. In Memoriam. R.I.P. Opa, gestorben vor fast 20 Jahren
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