21
Feb
2009

Der Dreck von der Straße - oder: Das Leben kann ein Arschloch sein

Heute habe ich einen Artikel über einen Studenten gelesen der in Berlin Nachtwache in einer "Pennermission" hält. Das hat mich inspiriert einen Blogeintrag zu verfassen. Und zwar einen Eintrag über einige eigene Erfahrungen die ich gemacht habe.

Es muss im Jahr 2003 gewesen sein, ich war gerade 21, als ich für mein Studium ein Praktikum in einer Einrichtung der Jugend- und Drogenberatung gemacht habe. Ich habe freiwillig mein Praktikum nicht in der Zentrale gemacht, sondern in einer "Außendienststelle" in der Nähe des Hauptbahnhofs in meiner Heimatstadt. Dort kamen und kommen die Alkoholkranken, Drogensüchtigen und Obdachlosen der ganzen Stadt und Umgebung hin, um sauberes Spritzbesteck zu bekommen, ein wenig soziale Kontakte zu pflegen, etwas zu Essen von der Tafel zu bekommen oder ganz einfach Zeit totzuschlagen. Es waren prägende Wochen, die mir wie Monate vorkamen.

Den "Dreck" der Straße zu sehen, soll heißen all die Menschen zu sehen die es im Leben nicht hingekriegt haben. Die an der Nadel oder an der Flasche hängen, die nachts in einem alten Zelt neben der Schnellstraße schlafen und sich tagsüber am Brunnen in der Innenstadt treffen und sich einmal kaltes Wasser ins Gesicht spritzen. Das ist wahrscheinlich so etwa wie ein Zeichen das sagen will: "Ja, ich lebe noch." Ich habe nie das Wort Dreck für diese Menschen benutzt, aber das Wort Penner zum Beispiel. Seitdem ich Menschen dieses Schlags genauer kenne, fällt mir sogar das schwer zu sagen.
Es gibt da zum Beispiel einen Mann, vielleicht ist auch gab das bessere Wort, denn ich habe ihn lange nicht gesehen. Jedenfalls hat man ihn in meiner Heimatstadt öfter mal in der Innenstadt gesehen. Breit wie die Nase eines Kirmesboxers der gerade zwischen die Fäuste von Evander Holyfield und Vladimir Klitschko geraten ist. Er kam sehr oft in die Außenstelle....immer mit einem Rotwein aus den bekannten Tetrapak-Tüten vom Discounter. Er lallte und schniefte, bekam seine Umwelt wohl nur noch durch einen Schleier mit. Manchmal schlief er auch einfach auf einem Stuhl ein, dann konnte es vorkommen dass sich Seiber aus seinem Mund auf den Weg machte, um sein Kinn und seinen Bart zu erkunden. Der Mann war nie aggressiv, nie anders als ein stinknormaler Kneipenbesucher der sich komplett abgeschossen hat. Manchmal etwas laut, aber eher ungewollt, fast wie ein Kind dass die Kontrolle über seinen Körper verloren hat.
Vermutlich wird er gestorben sein....die Leber wird es nicht mehr lange mitgemacht haben, schätze ich. Aber wahrscheinlich werden nur wenige Menschen seinen Namen gekannt haben und den Grund seiner Sucht.

Ich erinnere mich an wahre Schlachten am Kickertisch mit einem Nürnberger Original dass sich irgendwie nach NRW verlaufen hatte und nun hier sein Gras rauchte und sich die Nadeln setzte. Ein gemütlicher Zeitgenosse....einer den man bei einem Umzug gut gebrauchen könnte, weil er Oberarme wie Oberschenkel hatte und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Bestimmt wäre er ein guter Handwerker gewesen...Schreiner vielleicht. Ein bayrischer Schreiner in Lederhosen, der sich schon morgens auf sein Feierabend-Bier freut. Nunja es kam halt anders....statt Feierabend-Bier und einer Schachtel Zigaretten wurden es Joints und Heroin. Und ein Leben auf der Straße.

Und da fällt mir auch gleich ein junger Mann mit schwarzen Haaren ein. Er versuchte sich immer irgendwie sauber zu geben. Versuchte anders zu sein, nicht so abgewrackt und fertig wie die anderen. Dem Heroin abgeschworen, aber dem Methadon verfallen. "Methadon-Junkies" haben wir solche Leute liebevoll genannt. In Fachkreisen spricht man einfach von der "Ersatzdroge". Das Problem der Suchtbekämpfung, das vielleicht größte Problem, ist die Gefahr des "Umsattelns". Ein Cracksüchtiger der vom Crack weg ist, aber dafür Mushrooms und kleine, bunte Pillen schmeißt. Die Sucht sucht sich einfach einen anderen Spielplatz in deinem Kopf, Körper und Geist. Von der Flasche zum XTC ist es nicht sehr weit, von der Zigarette zum Joint geht es noch schneller.
Ich erinnere mich auch an ein Gespräch mit jemandem über diese Einrichtung. Das ging ungefähr so:
"Wie ihr gebt denen Spritzen?"
"Na klar, saubere Nadeln."
"Wie? Aber die sollen doch weg von dem Zeug!"
"Na klar, aber bevor sie sich auch noch HIV holen, sollen sie wenigstens saubere Nadeln benutzen."
Ein Kopfschütteln, ein Zeichen der Unverständnis....
Für mich war es auch ein komisches Gefühl, als ich kurz alleine in der Einrichtung war und mich einer der Suchtis nach einer sauberen Nadel fragte. Ein komisches Gefühl diesem Menschen eine Nadel zu geben und zu wissen wofür er sie benutzen wird. Ganz offen gehen diese Menschen auch damit um, zumindest im Umgang mit uns damals
"Du ich bräuchte ne Nadel. Gibst du mir eine? Müsste mir gleich nen Schuss setzen. Mach ich auch nicht hier, keine Angst."
Das war allerdings tatsächlich nicht gern gesehen, ich glaube sogar verboten, im Haus wurde sich kein Schuss gesetzt.

Die eindringlichste, beeindruckendste Szene war für mich aber eine andere. Weder Besuche in der Nervenheilanstalt im Bereich für Suchtkranke, noch Besuche bei Entziehungseinrichtungen. Nein was mich nachträglich am tiefsten beeindruckte war ein Gespräch mit einem Süchtigen auf dem Weg nach Hause.
Es war ein ganz normaler Arbeitstag. Es war Frühjahr und gegen 18.00 Uhr noch recht dunkel. Ich fuhr damals mangels Auto noch mit dem Bus.
An der Haltestelle am Bahnhof stieg ich ein und wie es der Zufall so wollte stiegen auch ein paar Suchtis ein die mich aus der Einrichtung kannten. Einer sah mich und setzte sich gleich neben mich. Es war ein (Halb-)Italiener dessen Name ich wieder vergessen habe. Er fragte mich wo ich hinfahre und daraus entstand dann ein Gespräch. Im Laufe dieses Gesprächs erzählte er mir genau wie es dazu gekommen war, dass er Heroinabhängig wurde. Das ist seine Geschichte:
Als er fast zwanzig war (also etwas jünger als ich damals) war er mit zwei guten Freunden (seinen besten) unterwegs. Irgendwo in der Stadt wurden sie angesprochen ob sie nicht Lust hätten mal ein bisschen was auszuprobieren. Heroin. Einmal drücken wird nicht so schlimm sein, haben sich die drei vielleicht gedacht. Jedenfalls haben sie es ausprobiert. Mit düsterem Ergebniss. Zwei haben sich gleich den Goldenen gesetzt...soll heißen: Sie waren gleich nach ihrem ersten Fix tot. Überdosis. Er, mein Gesprächspartner, hat überlebt. Seine Dosis war ok, zu gering um zu sterben, aber zu hoch um einfach davon wegzukommen. Und so hing er von nun an an der Nadel.
Während er mir diese Geschichte erzählte, wurden seine Augen traurig, sein ganzes Gesicht war von einer tiefen Trauer überzogen, einer Trauer die mehr nach Erlösung durch den Tod verlangt, als nach Tröstung die sie wahrscheinlich gar nicht mehr für möglich hält. Seine Hand griff in seine Jackentasche, er holte eine Spritze und eine frische Nadel heraus und zeigte sie mir mit den Worten: "Hier, die drück ich mir gleich."
Die Blicke der Gäste im Bus, die vor Schrecken und Angst geweiteten Augen und das angewiederte oder ängstliche Wegdrehen der Köpfe und Körper werde ich nie vergessen. Ich saß neben Abschaum. Und mir wurde bewußt dass neben mir ein Mensch sitzt, der einfach beschissenes Pech gehabt hat. Ein Mensch dem das Leben übel mitgespielt hat, weil er jung und dumm war. Strafe muss sein? Aber das ist keine Strafe....das ist die Hölle, nicht die Vorstufe, nein das ist die Hölle!
Irgendwann stieg er aus und hinterließ einen schweigenden, jungen Mann auf der letzten Bank im Bus. Ein Mann der sich gerade bewußt wurde: "Das hätte auch mir passieren können. Das hätte gottverdammt auch mir passieren können."

Kein Mensch kommt als Sünder, als Abschaum auf die Welt....aber manche Menschen können viel davon erzählen, was für ein Arschloch das Leben sein kann. Und dafür benötigen sie nicht einmal viele Worte!

Und wenn ich heute im Anzug durch die Innenstadt laufe und in Hauseingängen und auf Treppenstufen, die Süchtigen dieser Stadt sehe, dann fühle ich mich ihnen mehr verbunden als den Männern und Frauen die arglos daran vorbei gehen. "Ich habe den Abgrund gesehen" habe ich letztens in einem Buch gelesen. Denn wenn ich mir die Krawatte ausziehe, den Anzug, das Hemd und schließlich nackt vor dem Spiegel stehe, bin ich völlig hüllenlos und es gibt nur noch einen Unterschied zwischen mir und diesen Menschen - das Leben war anders Arschloch zu ihnen als zu mir.
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